Nach dem Ständerat hat nun auch der Nationalrat entschieden: Das Kriegsmaterialgesetz soll so verwässert werden, dass bald wieder Schweizer Waffen in Kriegsgebieten zum Einsatz kommen könnten. Verschiedene linke Parteien und Organisationen wie die SP Schweiz und die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) haben ein Referendum gegen die Lockerung angekündigt. Auch Organisationen aus dem Bereich der humanitären Hilfe sind besorgt über diesen Entscheid. Andreas Lustenberger, Leiter der Abteilung Politik bei Caritas erklärt im Interview, weshalb.
«direkt»: Andreas Lustenberger, die bürgerliche Mehrheit im Parlament will das Kriegsmaterialgesetz so lockern, dass Schweizer Waffen auch in Staaten exportiert werden können, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden. Was bedeutet es für die Menschen im globalen Süden, wenn mehr Schweizer Kriegsmaterial im Umlauf ist?
Andreas Lustenberger: In den letzten zehn Jahren nahm die Intensität und die Anzahl bewaffneter Konflikte weltweit zu. Nebst dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine betrifft dies insbesondere auch Regionen in Subsahara-Afrika, wie etwa den Sudan. Nicht zu vergessen sind die Kriege und Konflikte im Nahen Osten. Dass in der Ukraine eine Rakete in ein Wohnhaus einschlägt, nehmen wir heute im News-Ticker zur Kenntnis wie etwa eine defekte Bahnschranke, die den Verkehr bei uns behindert. Ob Raketeneinschläge oder Massaker in al-Fashir im Sudan, all diese Taten werden mit Waffen begangen und je mehr Waffen im Umlauf sind, desto grösser ist die Gefahr für die Zivilbevölkerung.
«direkt»: Wie wird die Arbeit der Caritas durch diese geplante Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes beeinflusst?
Andreas Lustenberger: Wir sind in zahlreichen Krisen- und Bürgerkriegsregionen der Welt präsent und leisten humanitäre Hilfe. Dieses Engagement konfrontiert uns tagtäglich mit dem immensen Leid, das bewaffnete Auseinandersetzungen für die betroffenen Menschen mit sich bringen.
«direkt»: Als Mitglied einer humanitären Hilfsorganisation – macht Ihnen die globale Aufrüstung Sorgen?
Andreas Lustenberger: Ja, absolut. Aufrüstung und Waffengewalt haben noch selten zu mehr Frieden geführt. Die Leidtragenden von mehr Konflikten gehören immer der Zivilbevölkerung an. Die Welt hat sich erfolgreich auf multinationale Abkommen wie etwa die Agenda 2030 für eine nachhaltige und friedliche Entwicklung geeinigt. In den letzten 10 Jahren bewegt sie sich leider wieder in eine negative Richtung. Eigeninteressen, sowohl persönliche wie auch territoriale, stehen über dem Kollektiv. Dabei waren es historisch gesehen gerade auch Länder wie die Schweiz, welche mit ihrer Gründung aufzeigten, wie Konflikte friedlich gelöst werden können. Anstatt Teil dieses gefährlichen Wettrüstens zu werden, braucht es humanistische Alternativmodelle. Die Schweiz würde sich sowohl wegen ihren Wurzeln wie auch ihrer gelebten Vielfalt gut dafür eignen.
«direkt»: Was würden Sie von der Schweiz erwarten in puncto Kriegsmaterialexporte?
Andreas Lustenberger: Die Schweiz hat sich über viele Jahrzehnte einen Namen gemacht, dass sie als neutrales Land erfolgreich zwischen verschiedenen Konfliktparteien vermitteln kann. Wird mehr Schweizer Kriegsmaterial in Länder exportiert, die sich in einem Bürgerkrieg oder regionalen Krieg befinden, wird diese Rolle der Schweiz zusehends geschwächt. Es ist ein politischer Entscheid, ob wir die humanitäre Tradition zu Gunsten der Gewinne von Rüstungskonzernen opfern. Caritas erwartet vom Bundesparlament, dass es solche Überlegungen in ihrem Entscheid berücksichtigt und nicht eine Hüst- und Hott-Politik betreibt.
Bei allen Staaten der Welt darf der Bundesrat gemäss dem neuen Gesetz von den harten Ausschlusskriterien abweichen, wenn vage Kriterien erfüllt sind (ausserordentliche Umstände und aussen- oder sicherheitspolitische Interessen der Schweiz). Selbst dann, wenn die Staaten in einem Bürgerkrieg sind oder Menschenrechte systematisch verletzen und wenn ein hohes Risiko besteht, dass die Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Kurz: Direkte Exporte von Kriegsmaterial wären an fast alle Länder der Welt erlaubt. Neu wären so direkte Kriegsmaterialexporte aus der Schweiz an China, Indien, Pakistan, Myanmar, Äthiopien, VAE, Nicaragua, Venezuela u.v.m. möglich. Bei westlichen Ländern geht es sogar noch weiter: Kriegsmaterial kann diesen in Zukunft geliefert werden, selbst wenn sie in einen internationalen bewaffneten Konflikt involviert sind.
Die Nichtwiederausfuhrerklärung wird grundsätzlich für alle Staaten abgeschafft. Sprich: Die Schweiz kann in die VAE oder in die Türkei direkt liefern, wie sie das in der Vergangenheit gemacht hat, und die Waffen können anschliessend an den Sudan weitergeleitet werden (denn das Waffenembargo des UNO-Sicherheitsrats ist geographisch zu limitiert und wird umgangen). Die USA könnten beispielsweise Schweizer Waffen an Israel, Ägypten, Jordanien, etc., weitergeben. Es wäre eine Frage der Zeit, bis Schweizer Waffen in zahlreichen Kriegen zum Einsatz kommen würden.
Auch demokratiepolitisch ist der Parlamentsentscheid höchst problematisch: Erst vor knapp vier Jahren hat sich das Parlament auf einen Gegenvorschlag zur Korrekturinitiative geeinigt: Dieser hält fest, dass in Zukunft kein Kriegsmaterial mehr an Staaten geliefert werden soll, die in bewaffnete Konflikte verstrickt sind. Auch wenn die Gefahr besteht, dass die Menschenrechte im Importstaat schwerwiegend verletzt werden könnten, dürfen keine Waffen aus der Schweiz geliefert werden. Zudem: Statt wie bisher bloss in der Kriegsmaterialverordnung werden die Exportkriterien neu im Kriegsmaterialgesetz festgelegt – sodass Änderungen neu dem fakultativen Referendum unterstehen.



