NGO unter Druck: «Unsere Arbeit stärkt die Demokratie»

Felix Gnehm, Geschäftsleiter von Solidar Suisse, spricht mit «direkt» über die schmerzhaften Folgen der Kürzungen bei der Internationalen Zusammenarbeit, das Comeback der Kinderarbeit und die globale Verantwortung der Schweiz in einer Zeit steigender Not.

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«direkt»: Felix Gnehm, die Schweiz hat bei der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) hohe Summen zusammengestrichen und diskutiert über weitere Kürzungen. Wie beurteilen Sie die aktuelle politische Lage im Hinblick auf die steigenden globalen Bedürfnisse?

Felix Gnehm: Die Politik darf nicht ausblenden, dass die Bedürfnisse in den Ländern mit tiefem Einkommen – sei es in Subsahara-Afrika, Lateinamerika oder Asien – stetig ansteigen. Unser Parlament in der Schweiz diskutiert jedoch an den globalen Herausforderungen vorbei, die auf uns zukommen. Und es will in einer ausserordentlichen Situation starre Sparziele erreichen.

Felix Gnehm. Bild: zvg
«direkt»: Die Situation wirkt paradox: Gleichzeitig verbucht der Bund Mehreinnahmen durch den Rohstoffhandel.

Felix Gnehm: Genau. Ein Teil der Einnahmen der Schweiz stammt aus dem Rohstoffhandel, dessen Ursprung meist im Globalen Süden liegt. Die logische Konsequenz wäre, dass ein Teil dieser Einnahmen in Form von solidarischem Engagement zurückfliesst, um die Bedingungen vor Ort zu verbessern. Dies funktioniert nicht, weil das bürgerliche Parlament kein Gehör für die Lobby der IZA hat.

«direkt»: Die Schweizer Kürzungen kommen mit dem Sog der USA, die sich aus der Entwicklungszusammenarbeit zurückgezogen hat. Welche strukturellen Folgen hat dies auf Ihre Arbeit?

Felix Gnehm: Der Rückzug der USA, insbesondere die Zerschlagung von USAID, war ein Dammbruch. Die Konsequenzen sind dramatisch: Es entsteht ein Vakuum. Armut hat ein Comeback. Wir sehen eine Zunahme von prekären Lebenssituationen und Kinderarbeit. Studien zeigen auf, dass weltweit Millionen von Menschen dem Tod ausgesetzt sind, weil lebensrettende Mittel fehlen.

«direkt»: Was bedeuten die Kürzungen konkret für die Arbeiter:innen sowie für Jugendliche und Kinder in den Projekten von Solidar Suisse?

Felix Gnehm: Aufgrund der Kürzungen mussten wir viele Projekte sistieren oder ganz beenden. Im Kosovo waren wir – nach über 25 Jahren Zusammenarbeit – sogar dazu gezwungen, ein ganzes Programm zu schliessen. Dort fallen Praktika für Jugendliche weg, die ihnen bei der Jobsuche halfen. Anderswo sind die Kürzungen existenziell. Insbesondere bei der humanitären Grundversorgung nach Katastrophen, aber auch betreffend sichere, gesunde Arbeitsplätze. Wo wir Gewerkschaften nicht mehr unterstützen, schuften Menschen wieder bis zum Umfallen und schicken ihre Kinder zur Arbeit statt zur Schule.

«direkt»: Solidar Suisse ist eine gewerkschaftlich getragene Organisation. Wie hart treffen die Sparmassnahmen die eigene Belegschaft?

Felix Gnehm: Leider auch sehr schmerzhaft. Bisher mussten wir weltweit, inklusive hier in der Schweiz, tatsächlich knapp zwei Dutzend Kolleg:innen kündigen, deren Stellen direkt an staatliche Projektmittel gebunden waren. Für eine gewerkschaftlich getragene Organisation sind Entlassungen immer besonders hart. Doch wir müssen diese Massnahmen umsetzen, da wir im Moment keine Möglichkeit haben, den Rückgang der öffentlichen Mittel aufzufangen. Wir appellieren stark an die Solidarität der Bevölkerung und fragen nach privaten Spenden, um möglichst viele Projekte weiterzuführen.

«direkt»: Rechte Politiker:innen in der Schweiz, aber auch international, fordern höhere Investitionen in die nationale Sicherheit und das Militär. Wie bewerten Sie diese neue Priorisierung?

Felix Gnehm: Unsere Arbeit ermöglicht demokratische Mitwirkung, sichert Grundrechte und trägt damit zu gesellschaftlicher Stabilität bei. Wenn wir jungen Menschen in der Sahelzone wirtschaftliche Perspektiven geben, ist es unwahrscheinlicher, dass diese Menschen nach Europa migrieren oder sich terroristischen Bewegungen anschliessen. Die Unterstützung fragiler Länder dürfen wir auf keinen Fall für eine Aufrüstung des Militärs aufgeben.

«direkt»: Zum Abschluss: Wie können wir als Gesellschaft die Solidarität über die Grenzen hinaus stärken?

Felix Gnehm: Man kann sich für jene Politiker:innen entscheiden, die sich weiterhin gegen die Ungerechtigkeit und Ungleichheit in der Welt einsetzen. Selbst politisch aktiv werden ist auch wichtig. Und wer sich nicht direkt engagieren kann, sollte Organisationen wie Solidar Suisse finanziell unterstützen. So leistet man aus der stabilen Schweiz einen sinnvollen Beitrag für Menschen auf der ganzen Welt, die sich gegen Ungleichheit und Destabilisierung wehren. Die weltweite Ungleichheit geht uns alle an, denn Solidarität darf nicht an Grenzen enden.

Solidar Suisse
Solidar Suisse ist eine Schweizer Entwicklungsorganisation mit Projekten in Afrika, Asien, Lateinamerika und Südosteuropa. Gemeinsam mit ihren Partner:innen kämpft Solidar Suisse für faire Arbeit, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und gegen extreme Ungleichheit. Hier kannst du die Arbeit und Projekte von Solidar Suisse unterstützen.

Dieses Interview erschien zuerst im VPOD-Magazin.


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